Der Star Wars-Jet, der grünen Strom aus Gezeiten erzeugt
Wir alle wissen seit langem: Die fossilen Energie-Ressourcen werden knapper. Dazu kommt, dass fossile Energieträger immer stärker unter Rechtfertigungsdruck geraten. Und demnächst nicht nur in Deutschland deutlich teurer werden dürften. Stichwort: CO2-Abgabe. Der Bedarf und die Nachfrage an nachhaltig gewonnener Energie steigen daher unablässig, getrieben durch ständig steigenden Energiehunger der Industriegesellschaften. Forschung und Industrie entwickeln neue Methoden, um schneller und günstiger regenerative Energien zu erzeugen. Welche Optionen bieten sich da an?
Grüner Strom aus vielen Quellen
Wind, Wasser, Sonne – die Erde bietet uns viele natürliche Mittel, um Strom für den menschlichen Verbrauch zu gewinnen. Und diese werden in immer unterschiedlicheren Weisen genutzt. Sei es in herkömmlichen Windparks, mit Wasserstoff, mit Photovoltaikanlagen oder sogar mit Infrarotstrahlungen, die in Hitze und weiter in Energie umgewandelt werden. Auch private Photovoltaikanlagen für die eigene Stromversorgung, z.B. um das E-Auto aufzuladen, gewinnen immer mehr an Beliebtheit.
Hier kommt Star Wars!
Star Wars klingt nach fernen Welten und noch fernerer Zukunft. Nicht so in Schottland. Da hat Star Wars schon begonnen:
Die Idee: Eine ganz natürliche und nahe liegende Quelle der Energie ist das sich täglich wiederholende Zusammenspiel von Mond und Sonne: Die gewaltige Energie, die durch den Tidenhub entsteht – also bei Ebbe und Flut – kann mit Hilfe von Gezeitenkraftwerken in Strom umgewandelt werden. Die Philosophie des Star Wars-Jet ist genau die: Aus dem Gezeitenwechsel Strom zu gewinnen. Um es vorneweg zu sagen: Es ist derzeit nicht absehbar, dass diese Form der Energiegewinnung einen signifikanten Anteil an der Energiewende ausmachen und die gleiche Relevanz wie Energie aus Wind und Sonne erreichen wird. Eine sehr intelligente und langfristig nachhaltige Form der Energiegewinnung sind Gezeitenkraftwerke aber allemal:
Aus dem Ozean zu uns nach Hause – wie funktioniert das?
Den Tidenhub benutzten Menschen schon vor über 1000 Jahren für die Gewinnung von Energie – historisch wurden hierfür u.a. Mühlen eingesetzt. Eine modernere Art, die Gravitation von Mond und Sonne in Kombination mit der Erdrotation für Zwecke der Stromgewinnung zu benutzen sind Gezeitenkraftwerke. Diese bremsen die Strömungen von Ebbe und Flut minimal ab und stauen diese auf. Das gestaute Wasser erzeugt mithilfe von Turbinen Rotationsenergie, über Generatoren wird diese dann in Nutzenergie umgewandelt.
Damit ein Gezeitenkraftwerk effizient genug ist und der Bau sowie die Energieerzeugung sich überhaupt lohnen, braucht es eine Mindesthöhe des Tidenhubs – genau gesagt 5 Meter. Deshalb werden solche Kraftwerke in Meeresbuchten gebaut, wo der Unterschied der Wasserhöhen am stärksten ist. Da es nur knappe 100 Buchten auf der Welt gibt, wo die benötigten 5 Meter erreicht werden, wurden mittlerweile Alternativen erforsch und eingesetzt. Meeresströmungs- und Wellenkraftwerke werden in kontinuierlich fließenden Gewässern, wie z.B. Meeresströmungen errichtet und werden somit nicht von der Tidenhöhe beeinflusst.
Was sind die Vor- und Nachteile?
Der Vorteil von Gezeitenkraftwerken ist, dass sie komplett CO2-frei funktionieren und somit sauberen und umweltfreundlichen Strom produzieren. Die durchschnittliche Lebensdauer eines Kraftwerks beträgt ca. 120 Jahre. Daher zeichnen sich die Anlagen durch eine sehr hohe Lebensdauer aus – verglichen etwa mit einem konventionellen Kraftwerk. Auch die dauerhafte Verfügbarkeit der Ressourcen ist ein großer Vorteil: Die Erddrehungen finden, unabhängig vom Wetter und anderen äußeren Zuständen, in regelmäßigen Abständen statt.
Diese Regelmäßigkeit ist allerdings auch ein Nachteil, da sich Ebbe und Flut nur in Zyklen von ca. 6 Stunden abwechseln. So kann Strom nur in langen Abständen erzeugt werden. Hinzu kommt, dass Spring- und Nipptiden die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können. Im Vergleich zu anderen regenerativen Energiequellen wird also für die geleistete Arbeit eine relativ kleine Energieausbeute erzeugt. Die hohen Startinvestitionen der Anlagen lassen sich somit erst nach langer Zeit amortisieren. Dagegen stehen allerdings die lange Lebensdauer und die vergleichsweise geringeren Unterhalts- und Wartungskosten.
Der schottische Star Wars-Fighter: Ein Jet als Gezeitenkraftwerk
Das aktuell stärkste und modernste Gezeitenkraftwerk liegt vor den Küsten der Orkney-Inseln in Schottland. Das Modell der Firma Orbital Marine Power nennt sich O2 und sieht nicht direkt so aus, wie man sich ein klassisches Kraftwerk vorstellt: Das fahrbare Kraftwerk in der Form eines Passagierjets – oder, mit mehr Phantasie, eines Star Wars-Fighters – ist 74 Meter lang mit einer Flügelspannweite von 25 Metern und Antriebpropellern mit einem Durchmesser von 20 Metern. Diese Dimensionen muss man sich erstmal vorstellen! Die Flügel lassen sich 15 Meter lang nach unten kippen, so dass die Wasserströmungen die Propeller bewegen können, die wiederum zwei Ein-Megawatt-Generatoren antreiben.
Die Entwicklung des Projektes hat 15 Jahre in Anspruch genommen und wurde im August 2021 in Betrieb genommen. Der Strom, den die Generatoren erzeugen, wird über Kabel am Meeresgrund auf das Festland geleitet und versorgt 2.000 Familien mit Strom. Die berechnete CO2-Ersparnis liegt bei ca. 2.200 Tonnen jährlich.
Das O2 kann je nach Bedarf über Land und Wasser transportiert und mithilfe von 4 Ankern im Gezeitenstrom befestigt werden. Die Ankerketten können ein Gewicht von ca. 500 Tonnen – entspricht ungefähr 50 Doppeldeckerbussen – aushalten und somit das Kraftwerk an einer Position in der Strömung festhalten. Die Standortauswahl erfolgt laut Hersteller in enger Abrede mit Umweltschutzbehörden, so dass das die Platzierung des Kraftwerks keine negativen Auswirkungen auf das Ökosystem hat.
Für die Zukunft nimmt sich das Unternehmen Orbital Marine Power Großes vor:
Die EU hat sich in Rahmen unterschiedlicher Innovationsprojekte an den Kosten beteiligt, auch die im Bereich Grüne Energie spezialisierte Umwelt-Plattform Abundance Investment gab finanzielle Unterstützung. In der Zukunft soll O2 Energie für das European Marine Energy Center (EMEC) produziert werden. Auch eine Serienproduktion des jetzigen Modelles ist geplant, um die transportierbaren Gezeitenkraftwerke an vielen unterschiedlichen Standorten einsetzen zu können.
Wir meinen: Kein Griff nach den Sternen, noch weniger „Wars“, dafür aber um so nachhaltiger! Wir sind gespannt, wie sich dieses Gezeitenkraftwerk durchsetzt und ob zukünftig sogar unsere Häuser in Deutschland mit Star Wars-Energie geladen werden!
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